von
Gustav Freytag.
Zehnte Auflage.
Leipzig
Verlag von S. Hirzel
1905.
Das Recht der Uebersetzung ist vorbehalten.
Sie haben wesentlichen Antheil an der großen Arbeit gehabt, durch welcheShakespeare dem deutschen Volke in das Herz geschlossen wurde, in derheiteren Muße eines schön gehaltenen Lebens haben Sie unsere Kenntnißfrüherer Literaturperioden nach mehr als einer Richtung gefördert, mirselbst ist die Freude geworden, mit Ihnen einzelne Kunstregeln und Hilfsmitteldichterischer Arbeit in guter Stunde durchzusprechen. So lassenSie sich gefallen, daß Ihr Name als günstige Vorbedeutung diesem Buchevorsteht. Ein Einzelner wünscht Ihnen dadurch öffentlichen Dank fürVieles auszusprechen, womit Sie unserem Volke wohlgethan haben.
Was ich Ihnen darbiete, soll kein ästhetisches Handbuch sein, ja essoll vermeiden das zu behandeln, was man Philosophie der Kunst nennt.Zumeist solche Erfahrungen wünschte ich aufzuzeichnen, wie sie derSchaffende während der Arbeit und auf der Bühne erwirbt, oft mitMühe, auf Umwegen, spät für beglückenden Erfolg. Ich hoffe, auchin dieser Gestalt mag das Buch einigen Nutzen stiften. Denn unsereLehrbücher der Aesthetik sind sehr umfangreiche Werke und reich an geistvollerErklärung, aber man empfindet zuweilen als Uebelstand, daßihre Lehren gerade da aufhören, wo die Unsicherheit des Schaffendenanfängt.
Die folgenden Blätter suchen also zunächst einen praktischen Nutzen,sie überliefern jüngeren Kunstgenossen einige Handwerksregeln in anspruchsloserForm. Die Veranlassung dazu fand ich in gelegentlichen Anfrageneinzelner Schaffenden und in den Dramen, welche ich in der Handschriftzu lesen hatte. Wohl Jeder, dem das Vertrauen Anderer ein schriftlichesUrtheil über ein neues Stück abfordert, hat erfahren, wie schwer, ja wieunmöglich es ist, eine ehrliche Ueberzeugung im Raum eines Briefes sozu begründen, daß der Dichter, noch warm von der Arbeit und befangenin den beabsichtigten Wirkungen, die Billigkeit des Tadlers und die Berechtigungder fremden Ansicht erkenne. Und nicht immer ist Muße dieHandschrift zu lesen und eingehend zu antworten.
Was auf diesen Blättern in Kürze dargestellt wird, ist auch keinGeheimniß, kein neuer Fund. Fast Jeder, der auf unserer Bühne einigeErfahrung erworben hat, handhabt, mehr oder weniger sicher, die folgendenRegeln. Auch nicht die möglichste Vollständigkeit technischer Vorschriftensuchte ich zu erreichen. Sie lassen sich sehr häufen, jeder Schaffendebesitzt seine besondere Art zu arbeiten und gewisse ihm eigene Mittelzu wirken. Es kam hier darauf an, die Hauptsache herauszuheben unddem jüngeren Dichter den Weg zu weisen, auf dem er sich selbst zu fördernvermag.
Wenn aber der Freund fragen sollte, ob, wer selbst für die Bühneschreibt, nicht vorziehe, die Arbeitsregeln durch eigene Erfindung annehmbarzu machen, so will ich dieses Buch auch entschuldigen. Es werdenalljährlich in Deutschland vielleicht hundert Dramen ernsten Stils geschrieben,wohl neunzig davon verschwinden in Handschrift, ohne auf dieBühne, selbst ohne zum Druck zu gelangen. Von den zehn übrigen, welcheeine Aufführung durchsetzen, geben vielleicht nicht drei den Darstellern einewürdige und lohnende Aufgabe, den Zuhörern die Empfindung einesKunstgenusses. Und unter den vielen Werken, welche untergehen, bevorsie lebendig geworden si